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Bleibt die Pflege auf der Strecke?

Insolvenzen ambulanter und stationärer Anbieter stellen Versorgung zunehmend infrage.

Auto eines Pflegediensts fährt durch ein Plattenbaugebiet.
Müssen Pflegedienste aufgeben, wird die Versorgung von Menschen gerade in strukturschwachen Regionen immer schwieriger. Foto: Wolfram Steinberg / picture alliance

In den letzten Monaten setzt sich ein gefährlicher Trend fort: Immer mehr Anbieter ambulanter und stationärer Pflege gehen pleite oder sind von Insolvenz bedroht. Die Unternehmen verweisen auf gestiegene Kosten und fehlendes Personal. Leidtragende sind vor allem die pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörige. Mit Blick auf deren Schicksal bekräftigt der SoVD daher seine Forderungen nach einem leistungsfähig finanzierten Pflegesystem.

Bereits im November vergangenen Jahres sorgte eine Umfrage der Diakonie Deutschland für Besorgnis. Diese ergab, dass jeder zweite ihrer ambulanten Pflegedienste rote Zahlen schreibt; jeder zehnte sei sogar in seiner Existenz gefährdet.

Gestiegene Kosten erschweren die Versorgung

In einigen Bundesländern scheint sich die Lage jetzt weiter zuzuspitzen. Anfang dieses Jahres meldete der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), in Sachsen-Anhalt stünden rund 200 Pflegedienste vor dem wirtschaftlichen Aus. Diese könnten infolge gestiegener Personal- und Sachkosten die Versorgung der Patient*innen nicht mehr aufrechterhalten.

Schon jetzt würden einzelne Angebote eingeschränkt. Zudem könnten sie nicht mehr alle ärztlichen Verordnungen der häuslichen Krankenpflege annehmen. Ursächlich dafür seien neben der allgemeinen Inflation vor allem Lohnsteigerungen sowie Mehrausgaben für Energie und Mieten.

Pflegebedürftige müssen weite Wege in Kauf nehmen

Auch in Nordrhein-Westfalen stehen viele Einrichtungen mit dem Rücken zur Wand. Nach Auskunft der Landesregierung stieg die Zahl der Insolvenzen im Pflegebereich dort zuletzt um das Fünffache. Wegfallende Plätze würden laut bpa kaum noch aufgefangen. Dies könne zu der absurden Situation führen, dass Menschen für einen Platz in der Kurzzeitpflege zwischen 80 und 100 Kilometer weit fahren müssten.

Eine Hiobsbotschaft ist das vor allem für die mehr als fünf Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland und für deren Familien. Denn es sind zum größten Teil Angehörige, die ihnen nahestehende Menschen im gewohnten Umfeld betreuen. Diese Arbeit leisten sie meist rund um die Uhr und nicht selten auch auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit. Eine dringend benötigte Entlastung der Pflegenden rückt mit dem Wegbrechen entsprechender Angebote nun wortwörtlich in weite Ferne.

Auch Pflegeheime stehen vor gravierenden Problemen

Fällt die Unterstützung durch einen ambulanten Dienst weg, bleibt Betroffenen kaum noch eine Alternative. Denn auch im Bereich der stationären Pflege fehlt es an Fachpersonal. Ein kaum zu bewältigendes Problem ist das vor allem in ländlichen Regionen. In immer mehr Einrichtungen hat dieser Umstand zur Folge, dass dort Zimmer leer bleiben, obwohl die Nachfrage groß ist. Sind die Pflegeheime jedoch nicht ausgelastet, geraten sie schnell in eine finanzielle Schieflage und werden unwirtschaftlich.

Längst sind sich auch die Kostenträger dieser Situation bewusst. Nach Einschätzung der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) sind Insolvenzen von Pflegeheimen in erster Linie auf den herrschenden Personalmangel zurückzuführen. Ein starker Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen verschärfte diese Situation zuletzt obendrein.

Pflegesystem gerät immer mehr unter Druck

Eine große Rolle spielen weiterhin die hohen Eigenanteile in der stationären Pflege. Für Betroffene stellen sie längst ein beachtliches Armutsrisiko dar. Doch eine Besserung ist angesichts leerer Kassen kaum zu erwarten.

Dringende Reformen forderte dabei erst kürzlich auch der Bundesrechnungshof. Mit Blick auf das wachsende Defizit müsse die Bundesregierung umgehend handeln, um letztlich den Fortbestand der sozialen Pflegeversicherung zu garantieren.

Zu deren Zukunft ließ ein Bündnis um den SoVD erst vor gut einem Jahr eine repräsentative Umfrage erstellen. Bei dieser sprachen sich vier von fünf Menschen in Deutschland (81 Prozent) für den Ausbau des bestehenden Systems zu einer Pflegevollversicherung aus.

Der SoVD war und ist sich mit den beteiligten Organisationen darin einig, dass Beschäftigte in der Altenpflege und pflegebedürftige Menschen nicht länger gegeneinander ausgespielt werden dürften. Gute Pflege brauche eine bedarfsgerechte Ausstattung und qualifizierte Pflegekräfte. Betroffene sollten darauf vertrauen können, dass eine solidarische Versicherung, die das Wort „Pflege“ im Namen trägt, auch tatsächlich das Pflegerisiko abdeckt. Sozialhilfe sei kein würdiger Ersatz für Ansprüche aus eigenen Beitragszahlungen.